Entwicklung einer 3D-Gradierung für Schuhleisten basierend auf realen 3D-Fußdaten

IGF-Projekt 18838 BG

Gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages

In der konfektionierten Schuhherstellung werden üblicherweise nur für einzelne Mustergrößen Produkte entwickelt und über proportionale Vergrößerung und Verkleinerung, das Gradieren, alle anderen Schuhgrößen des Sortiments abgeleitet. Das Gradierverfahren beeinflusst wesentlich die Passform von Konfektionsware und somit die Akzeptanz bei den Konsumenten. In der Schuhindustrie bildet der Leisten die Basis für alle zu verwendenden Schuhkomponenten, wie Brandsohlen, Zwischensohlen, Laufsohlen und Absätze. Auf dem Leisten baut auch die gesamte Schaftkonstruktion auf. Er determiniert die Passform der darüber gefertigten Schuhe. Bei der Leistengradierung wird aber noch immer das Verfahren aus den 1930er Jahren angewandt, welches nur zwei Maße, die Leistenlänge und den Technischen Ballenumfang verwendet (Bild 1). Dieses Verfahren wurde auf Grund der damals zur Verfügung stehenden Technik, den Leistenkopiermaschinen, entwickelt. Der gesamte Leisten wird auf Basis dieser Maße pauschal vergrößert oder verkleinert.

Da die Stufung dieser beiden Maße verschieden ist, kommt es zu Verzerrungen der Formen und Proportionen, die sich besonders bei den Randgrößen der Sortimente negativ auf die Optik auswirken. Die Korrekturen sind zeitaufwändig und basieren meist auf Erfahrungen statt auf fundierten Daten oder Berechnungen. Aus Untersuchungen der Fußgeometrie bei Erwachsenen ist bekannt, dass unterschiedliche Fußareale sich nicht linear proportional zur Schuhgröße bzw. Fußlänge verhalten. Besonders nachteilig wirkt sich das gegenwärtige Gradierprinzip auf die Herstellung von Kinderschuhleisten und die davon abgeleiteten Schuhkomponenten aus. Kinderfüße sind keine kleinen Erwachsenenfüße. Die Komplexität erhöht sich um den Faktor Entwicklung, wodurch bei den Kinderfüßen eher z.B. hyperbelförmige Verläufe von Fußmaßen in Abhängigkeit vom Alter auftreten. Sie sind durch ihr Wachstum besonders anfällig gegenüber äußeren Einflüssen wie z.B. Schuhe. Ein weiterer Faktor ist die sehr unterschiedliche Form der Füße, deren Häufigkeit des Auftretens altersabhängig ist, wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigten. Diese Besonderheiten müssen vor allem bei der Leistengradierung, als erstem Schritt in der Schuhfertigung, beachtet werden. Bei der bisherigen Gradierung bleiben diese anatomischen Zusammenhänge jedoch unberücksichtigt. Zudem fehlen die grundlegenden Informationen, um (Kinder-) Leisten nach Fußmaßtabellen gradieren zu können. Hier liegen bisher nur 2D-Informationen vor.

Für die Herstellung von Leisten für unterschiedliche Fußformen wäre bei Anwendung des bisherigen Gradierverfahrens ein sehr großer zeitlicher und finanzieller Aufwand erforderlich, da die Musterleisten für jeden Typ manuell gefertigt werden müssten.

Das Verfahren wurde den neuen technischen Entwicklungen, und den damit verbundenen neuen Möglichkeiten, nie angepasst, sein Grundprinzip stets unverändert beibehalten. Die heute verfügbaren 3D-CAD-Systeme gradieren Leisten nach demselben Prinzip wie die mechanischen Leistenkopiermaschinen aus den 1930er Jahren. Damit wird das technische Potenzial dieser CAD-Systeme bei weitem nicht ausgeschöpft. Außerdem stehen schon jetzt mehrachsige Fräsmaschinen für die Leistenherstellung zur Verfügung, die die Anwendung eines anderen Fertigungsprinzips ermöglichen und damit auch für ein neues Gradierverfahren prädestiniert sind.

Im Rahmen des Forschungsprojektes IGF 18838 wurde ein Gradierverfahren entwickelt, welches sich an den 3D-Gradierverfahren der Bekleidungsindustrie orientiert. Dort wird mit detaillierten Körpermaßtabellen gearbeitet, deren Daten aus aktuellen Körpermessungen gewonnen wurden. In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland ebenfalls umfangreiche Fußmessungen durchgeführt, die für die Erarbeitung von Fußmaßtabellen als Basis für ein neues Gradierverfahren von Leisten geeignet sind. Auf dieser Datenbasis war es möglich, die Füße nicht nur nach ihren Maßen, sondern auch nach ihren Formen einzuteilen. Unterschiedliche Fußtypen wurden definiert. Zudem wurden die Füße mit 3D-Scannern erfasst, so dass mittlere 3D-Fußmodelle erarbeitet werden konnten. Dadurch war der Zusammenhang zwischen den Maßen und den Konturen des Fußes ableitbar.

Wird weiterhin der Zusammenhang zwischen Fußmaßen und Leisten in der Modellgröße und darauf aufbauend in den zu gradierenden Größen hergestellt, ist eine ähnliche Herangehensweise wie in der Bekleidungsindustrie denkbar. Dabei sind jedoch wesentliche Unterschiede zu berücksichtigen:

  • In der Schuhindustrie sind Leisten sowohl als Grundlage der Konstruktion als auch der Herstellung der Produkte unverzichtbar.
  • Die Leistengeometrie wird nicht in allen Bereichen des Fußes größer als dieser ausgeführt. Teilweise wird auch auf Untermaß gearbeitet.
  • Der Schuh soll den Fuß halten und vor mechanischen Einwirkungen schützen. Demzufolge besteht ein großer Teil der Schuhkomponenten aus biegesteifen Materialien. Die Form dieser Schuhkomponenten wird vom Leisten vorgegeben. Eine Anpassung an die individuelle Fußform und ein Ausgleich von Passformmängeln sind nur in beschränktem Maße möglich. Demzufolge bestehen besonders hohe Anforderungen an die Passgerechtheit der Leisten.

Auf Basis der vorhandenen Daten wurden mittlere Füße für Damen und Kinder erarbeitet. Bild 3 zeigt die mittleren Damenfüße für die Fußtypen I, II und III.

In Bild 4 sind Beispiele mittlerer Kinderfußmodelle zu sehen. Die mittleren Polygonmodelle bilden die Voraussetzung für die Erarbeitung parametrischer Fußmodelle, die wiederum die Basis für den virtuellen Schuhleistenaufbau und die Leistengradierung sind.

Die entwickelten mittleren Fußmodelle der verschiedenen Fußtypen wiesen gravierende Formunterschiede auf, die sich negativ auf die Leistenform auswirkten. Hier war ein Abstrahieren der mittleren Fußformen erforderlich, ohne die fußtypischen Merkmale zu vernachlässigen. Weiterhin musste bei der Leistengradierung der Einfluss der Fersensprengung auf die Fußmaße berücksichtigt werden.

Das neue Gradierverfahren entspricht eigentlich einem Konstruktionsverfahren, bei dem die Ableitung der Leisten in den einzelnen Größen auf der Wiederholung des Konstruktionsablaufes in der Mustergröße basiert. Die Abstände zwischen entwickeltem Musterleisten und dem mittleren Fuß der Mustergröße werden auf die mittleren Füße der anderen Größen übertragen. Dabei werden die Besonderheiten der verschiedenen Größen und Fußtypen berücksichtigt. Verzerrungen, wie sie bei dem gegenwärtig angewandten Gradierverfahren auftreten, können nicht entstehen. Die Wirksamkeit dieses Verfahrens wurde an Kinderleisten der Größen 31, 33 und 35 in der WMS-Weite M überprüft, indem der Originalleisten mit dem Leisten nach dem neuen Gradierverfahren verglichen wurde. Das Bild 5 zeigt, dass das Ziel des Forschungsprojektes erreicht wurde. Kleine Ungenauigkeiten können durch Glättprozesse korrigiert werden.

Fazit

Werden Leisten computergestützt dreidimensional nach einem Verfahren gradiert, das sich an der körpermaß- und körperformbasierten Vorgehensweise bei der Gradierung von Bekleidung orientiert, werden Passform und Aussehen der Schuhe, die über diese Leisten gefertigt werden, verbessert. Ein solches Gradierverfahren verspricht gegenüber dem herkömmlichen Verfahren eine Reihe von Vorteilen:

  • Leisten werden nicht mehr mit zwei pauschalen Gradierfaktoren vergrößert oder verkleinert, ohne Rücksichtnahme darauf, ob dies für alle Bereiche des Schuhs erwünscht und anatomisch gerechtfertigt ist. Die Leistengradierung wird stattdessen computergestützt anhand von Fußmaßtabellen passformgerecht realisiert. Auf diese Weise können auch Leisten mit speziellen Maßkombinationen, wie fußtypenspezifische Leisten, durch Gradieren erzeugt werden.
  • Durch die Bildung von Fußtypen werden die individuellen Unterschiede besser berücksichtigt. Dadurch kann ein höherer Versorgungsgrad von 80% erreicht werden. Für Kinder wurden spezielle Fußtypen entwickelt.
  • Das Umstellen auf andere Größensysteme oder andere Sortimente kann aufgrund der hinterlegten Parameter für die Fußmaße und die Abstände zum Leisten durch Eingabe der entsprechenden Informationen erfolgen.
  • Das Konstanthalten von ausgewählten Maßen für alle Größen des Sortiments ist ohne aufwändige Korrektur umsetzbar. Verzerrungen der Leistenproportionen, infolge unterschiedlicher Gradierfaktoren in Länge und Weite, gehören der Vergangenheit an. Dadurch entfallen aufwändige Korrekturen und manuelle Tätigkeiten, wie das Fertigen mehrerer Gradierleisten pro Sortiment. Demzufolge kann der Zeitaufwand für den Entwicklungsprozess drastisch reduziert werden.
  • Die gewonnen Ergebnisse sind bei den neuen Leistenfräsverfahren unmittelbar einsetzbar.
  • Durch die Kennzeichnung der Fußtypen und bessere Passform der Schuhe können die Retouren im online-Handel reduziert werden.

An der Bearbeitung des Forschungsprojektes waren folgende Forschungsstellen beteiligt:

 

Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens e.V.

Technische Universität Dresden, Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungs-werkstofftechnik, Professur für Montagetechnik für textile Produkte

Universität Potsdam, Institut für Sportmedizin und Prävention

Hochschule Trier, Fachbereich Informatik, Informatik und Therapiewissenschaften

Danksagung

Wir, das Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens (PFI) e.V., die Technische Universität Dresden, Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungs-werkstofftechnik, Professur für Montagetechnik für textile Produkte, die Universität Potsdam, Institut für Sportmedizin und Prävention und die Hochschule Trier, Fachbereich Informatik, Informatik und Therapiewissenschaften, möchten uns hiermit für die Förderung des Forschungsvorhabens AiF-Nr. 18838 BG bedanken, das im Programm zur Förderung der „Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)“ aus den Haushaltsmitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen e.V. erfolgte.

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